Auszug aus: Oikos – Warum eigentlich? http://oikos-online.com/
Mehrwert…
1. Aus der Geschichte: Subsistenz versus Mehrwert
Ökonomisches Prinzip ist, mit dem geringsten Aufwand den größtmöglichen Ertrag zu erzielen. Unter dem Aufwand ist dabei die Menge an Arbeit, Zeit, Kraft oder Energie, Produktionsmitteln und Rohstoffen, bzw. Vorprodukten zu verstehen, die erforderlich sind, das gewünschte Produkt oder Ergebnis herzustellen bzw. zu erhalten. Unter dem Ertrag ist die Menge aber auch die Qualität des Ergebnisses zu verstehen. Grundsätzlich entsteht die begriffliche Trennung von Aufwand und Ertrag erst mit der zeitlichen Trennung von Aktion und Konsumption. Die Geschichte der Industrialisierung, der Wirtschaftsführung im weitesten Sinne, ist eine Geschichte der zunehmenden zeitlichen und räumlichen Trennung von Aktion (Aufwand) und Konsumption (Ertrag). Während in grauer Vorzeit die Beute aufgespürt, erlegt und relativ bald darauf zubereitet und verzehrt wurde, stellt jede Form von Landwirtschaft eine saisonale Aufteilung von Saat und Ernte im Jahresverlauf dar. Heutzutage sind die Prozesse dagegen derartig voneinander abgekoppelt und spezialisiert, daß Aufwand und Ertrag praktisch nie mehr in einem direkten Verhältnis stehen, sondern eine beliebige Erwerbstätigkeit die Konsumption durch das Tauschmedium Geld ermöglicht. Für uns heutige Zeitgenossen scheint das völlig normal zu sein, dahinter steht jedoch eine jahrtausende währende Entwicklung des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Im Zuge dieser Entwicklung, in der der Einzelne nicht mehr die zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse erforderlichen Produkte alle selber herstellen muß, konnte eine hochgradige Spezialisierung und Diversifizierung der Wirtschaftsprozesse entstehen. Gleichzeitig stellte sich mit dieser Spezialisierung das Bedürfnis nach Aufrechnung und Bewertung der vielen verschiedenen Produkte – ein Tauschhandel entstand, und damit die Urform jeder Marktwirtschaft. Ziel der Wirtschaftseinheiten war dabei zunächst der Erhalt des Bestandes, die Deckung des Bedarfs, das Gleichgewicht von Aufwendungen und Erträgen, die sogenannte Subsistenzwirtschaft. Der Begriff “Substistenz” leitet sich vom lateinischen ab und bedeutet das Aus-sich-selbst- und Durch-sich-selbst-Bestehen, eben die Erhaltung der Substanz. Diesem Grundsatz der puren Bedarfsdeckung in den frühen Haushalten ist der Grundsatz des Mehrwertes, der kontinuierlichen Erwirtschaftung eines Überschusses entgegenzustellen. Das Ziel dieser Erwerbswirtschaften ist nicht die unmittelbare Bedarfsdeckung, sondern ein größtmöglicher Ertrag, die langfristige Gewinnmaximierung zum Zwecke der Akkumulation von Kapital. Besonders deutlich stellt sich das Ziel einer Gewinnmaximierung in der Entwicklung des Zinses und vor allem des Zinseszinses dar.
2. Immer mehr und mehr:
Selbstverstärkende Prozesse in der Wirtschaft
Der Zinseszins ist ein besonders einfaches und gleichzeitig grundlegendes Beispiel für selbstverstärkende Prozesse in der Wirtschaft: Die Reichen werden immer reicher, die Schuldner immer ärmer. Dies wird im exponentiellen Wachstum von Geldvermögen besonders deutlich. Denn mittels des Zinseszinses wächst das eingesetzte Geldvermögen mit einer Exponentialfunktion. Diese Funktion wächst ins Unendliche und das eingesetzte Kapital wächst theoretisch mit. Es handelt sich also um einen sich selbst beschleunigenden Prozeß: Wer Vermögen besitzt, wird immer schneller immer reicher, wer dagegen Schulden hat, gerät in gleichem Maße in die Teufelsspirale von Zins und Zinseszins.
Wie kommt es nun, daß sich Geld – sowohl als Kapital, wie auch als Schuldenbetrag – über eine gewisse Zeitdauer vermehrt? Offensichtlich wird diese Vermehrung von Geld nur durch die Grundsätze einer Mehrwertwirtschaft ermöglicht. Soll heißen: Es ist in der Gesellschaft einfach allgemein aktzeptiert, daß Geld immer mehr werden muß. Damit stellen gerade der Zins und Zinseszins ein ausgesprochen prägnantes Beispiel – nicht für den erhaltenden Aspekt der “Oikonomea” -, sondern der Erwirtschaftung eines Überschusses, eines Mehrwertes dar.
Die selbstverstärkenden Prozesse in der Wirtschaft lassen sich jedoch nicht nur am Beispiel von Zins und Zinseszins darstellen. Vielmehr findet diese Selbstverstärkung und Selbstbeschleunigung auch in fast allen anderen Bereichen unseres Wirtschaftssystems ihre Widerspiegelung. Dazu einige Beispiele:
Bei der Werkzeugherstellung ermöglichen gute Werkzeuge die Herstellung von noch besseren Werkzeugen. Dieser Qualitätszuwachs des Instrumentariums ermöglicht die Erschließung weiterer Mehrwertquellen, beispielsweise der Ausbeutung von Rohstoffen: So kann erst durch die Produktion von Energie, jede weitere Ölförderung stattfinden. Je mehr Öl gefördert wird, desto größer kann die Menge des weiterhin geförderten Öles sein. Nur ungefähr 10% des gewonnenen Öls werden für die weitere Förderung und Aufarbeitung des Rohöls aufgewendet werden – also 90 % Überschußproduktion.
Ein anderes Beispiel für selbstverstärkende Prozesse in der Wirtschaft stellen moderne Technologien dar: Computer bauen Computer. Die Entwicklung integrierter Schaltungen ist heutzutage nur noch mittels spezieller Rechnerprogramme für den Schaltungsentwurf möglich. Schon lange werden diese entworfenen Schaltkreise dann mittels verschiedener Testprogramme auf logische Fehlerfreiheit überprüft. Die Konstruktion und Produktion der Computer ist also heute nur noch mittels anderer Computer möglich, ist also von der Existenz leistungsfähiger Computer abhängig. Mittels einer leistungsfähigen Computergeneration kann eine noch viel leistungsfähigere Computergeneration geschaffen werden – ein sich selbst verstärkender Prozeß.
Selbstverstärkende Prozesse in der Wirtschaft finden jedoch nicht automatisch, d.h. ohne die aktive gestalterische Rolle des Menschen, statt. Erst die intelligente Nutzung der eingesetzten Ressourcen bewirkt die Vermehrung derselben. Erst das erfolgreiche Lernen ermöglicht die optimale Kombination der eingesetzten Produktionsmittel. Im Gegenzug finden sich genügend Beispiele für den Verlust von Vermögen, den Verlust von Kapital oder Ressourcen. Wer nicht in der Lage ist, die ihm zur Verfügung stehenden Mittel im Sinne einer Vermehrung zu nutzen, der wird am Ende nicht nur weniger haben, sondern dem droht der wirtschaftliche Ruin.
Auch in der Natur kennen wir das exponentielle Wachstum, die exponentielle Vermehrung von Arten. So wird sich eine Bakterienkultur auf einem Nährboden zunächst exponentiell ausbreiten. Bei genügender Nahrungszufuhr würde diese Bakterienkultur bis ins Unendliche wachsen.Wie wir im nächsten Kapitel “Ökologie” sehen werden, entspricht der Grundsatz der erfolgreichen Anpassung, des effektiven Einsatzes von Ressourcen, in vielen Punkten ökologischen Prozessen.
3. Teil:
Die “Physik” der Ökonomie
Mehrwert durch In-Formation
Es ist in den bisherigen Ausführungen deutlich geworden, daß selbstverstärkende Prozesse in der Wirtschaft eine ausgesprochen große Rolle für die Überschußproduktion, für die Erzielung eines Mehrwertes spielen.
Wie kommt aber kommt es nun zur Mehrwerterwirtschaftung? Wie kann es passieren, daß Produkte im Laufe des Produktionsprozesses immer weiter veredelt werden und dabei immer “mehr Wert” bekommen? Was ist überhaupt der Wert eines Produktes?
Schauen wir uns die Produktion von Dingen (Waren) einmal genauer an, so sehen wir, daß es sich vor allem um eine Unwandlung, um die Veränderung der Anordnung der Materie handelt. Denn wie wir – aus dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik – wissen, kann Energie oder Materie weder geschaffen noch vernichtet werden.
Diese Grundregel der Physik, daß Materie weder geschaffen noch vernichtet werden kann, sondern nur ihre Anordnung verändert wird, gilt auch in alltäglichen Zusammenhängen. Die scheinbaren menschlichen Möglichkeiten der “Schaffung” von Materie bestehen letztendlich lediglich aus der Umwandlung, der Veränderung der Anordnung und der Zusammensetzung der Materie und der Energie, also die sogenannte Strukturierung von Materie und Energie. Nehmen wir beispielsweise die Herstellung eines Automobils, den Gebrauch und die anschließende Entsorgung, so wird deutlich, daß dies ein Prozeß ist, in dem nur Strukturen geschaffen werden, nicht aber Materie oder Energie. Sowohl die Materie als auch die Energie werden nur umgewandelt, ihre Struktur wird verändert, ihre sogenannten Ordnungszustände (Entropie).
Betrachten wir also die Entstehung eines Automobils: Der erste Schritt ist die Gewinnung von Rohstoffen aus der Erde, beispielsweise das Eisenerz, das mithilfe von Koks und weiteren Zugaben zu Stahl verarbeitet wird. Dieser Stahl wird dann zu Stahlblech verarbeitet und in Umformmaschinen beispielsweise zu Einzelteilen der Karosserie eines Mittelklasse-PKW. Hinzu kommen noch weitere Teile wie Motor, die Innereien, das Fahrwerk etc. Insgesamt besteht das Auto zu etwa 60 % aus Stahl- und Eisenprodukten. Am Ende des Prozesses hat man ein sehr kompliziertes Gefährt, das einen sogenannten Veredelungsprozeß durchlaufen hat, dadurch daß die einzelnen Produktteile ebenfalls einen Veredelungsprozeß durchlaufen. Wird dann das Produkt benutzt, so sind wieder Rohstoffe, z.B. das Erdöl in Benzin, zu verwandeln, also zu veredeln, um damit den Betrieb des PKW zu gewährleisten. Nach etwa fünf bis zehn Jahren wird sich das Fahrzeug abgenutzt haben. Einzelne Teile werden ersetzt, bis schließlich die Fahrt des Automobils in der Schrottpresse endet. Das Automobil wird in einen Würfel verwandelt, der im Laufe der Zeit zum großen Teil (der heutztage leider immer geringer wird) wieder zu Eisenoxid verrostet. Das heißt, wir sind hier Zeugen eines Kreislaufprozesses des Eisenoxids (natürlich noch von vielen tausend anderen Materialien, die hier aber der Einfachheit halber nicht betrachtet werden sollen). Der Stahl wird aus Eisenoxid gewonnen, zu Blechen verarbeitet, lackiert, und am Ende des Autolebenszyklus verrottet er wieder zu Eisenoxid.
Was wir hier sehen, ist, daß Materie nicht geschaffen, sondern nur verändert wird. Je höher das Produkt veredelt wird, desto mehr Verarbeitungsstufen muß es durchlaufen. Und es passiert noch etwas zweites, was uns der zweite Hauptsatz der Thermodynamik vorhersagt: Das Produkt wird immer unwahrscheinlicher im Laufe der verschiedenen Veredelungsstufen.
Wir haben es hier mit zwei wichtigen Hauptsätzen der Physik zu tun. Wie schon erwähnt, kann nach dem ersten Hauptsatz weder Energie noch Materie geschaffen oder vernichtet werden. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik sagt jedoch etwas über die Wahrscheinlichkeit der Strukturen, der Verteilungen oder auch An-Ordnungen von Materie und Energie aus. Wir haben es hier also mit dem zweiten Hauptsatz zu tun, der etwas über die Wahrscheinlichkeit aussagt, die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Struktur, eine bestimmte Ordnung in der Materie zu finden. Und genau darum handelt es sich bei der Veredlung z.B. des Eisenerzes. Die Wahrscheinlichkeit einer Struktur wird von Veredelungsstufe zu Veredelungsstufe drastisch verringert. So ist es sehr wahrscheinlich, Eisenerz in der Erde zu finden. Unwahrscheinlicher hingegen ist es, Stahl in der für die Automobilproduktion geforderten Qualität in der Natur vorzufinden. Noch unwahrscheinlicher ist es, geformte Karosserieteile in der Natur zu finden. Und absolut unwahrscheinlich ist es, einen startbereiten Mittelklassewagen irgendwo außerhalb des menschlichen Kulturraumes zu finden. Wird das Fahrzeug dagegen verschrottet, so zerfällt zumindest der Stahl langsam wieder in das Ausgangsprodukt, also das Eisenoxid. Das heißt, hier findet der umgekehrte Prozeß statt: Es wird immer wahrscheinlicher, die Zerfallsprodukte auch irgendwo in der Natur zu finden. Der Zerfall ist ja gerade in engem Zusammenhang mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu sehen, also das Zerfallen in die Gleichgewichtszustände, den Zerfall in die Wahrscheinlichkeit, in das Chaos.
Wenn wir also Materie gar nicht schaffen können, sondern nur ihre Anordnung, ihre Struktur verändern können, so bewegen wir uns im Grunde im Bereich der Informationsverarbeitung. Es dreht sich also bei der wirtschaftlichen Produktion, bei der Veredelung der Dinge auf jeder Produktionsstufe, um eine In-Formation. Oder wie Norbert Wiener in seiner berühmten Definition sagt:
“Information ist Information, weder Materie noch Energie.” [1]
Während sich der erste Hauptsatz der Thermodynamik vor allem mit Materie und Energie befaßt und feststellt, daß weder Energie noch Materie geschaffen oder vernichtet werden können, so beschäftigt sich der zweite Hauptsatz der Thermodynamik mit dem Zustand von Materie, mit den Ordnungsstrukturen von Materie und Energie, also mit dem In-Formationsgehalt. So leitet denn auch Wiener den Begriff der “Information” aus der Entscheidung über die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Punktes auf einer Strecke ab. Im mehrdimensionalen Falle entspricht dies der Positionierung eines Punktes im Raum. Dieser Informationsbegriff, den Wiener im übrigen in Zusammenarbeit mit John von Neumann entwickelte, steht in engem Zusammenhang mit der von Shannon entwickelten Informationstheorie. Shannon behandelt jedoch nur die syntaktischen Aspekte der Information, also die formalen Aspekte. Über den Inhalt, den Sinn, also die Semantik einer Nachricht oder Information ist damit noch nichts ausgesagt. Ebensowenig über die Bedeutung einer Nachricht für den Empfänger, die Pragmatik.
Halten wir fest, daß die Anordnung von Punkten im Raum, also deren Aufenthaltswahrscheinlichkeit oder vielmehr die Unwahrscheinlichkeit ihres Aufenthalts die Voraussetzung für Informationsinhalte darstellen.
Damit haben wir bis jetzt nur den formalen Aspekt betrachtet. Über einen Sinn ist damit noch nichts gesagt. Denn dieser entsteht erst innerhalb eines Systems von Sender und Empfänger, und damit pragmatisch im Sinne einer Nachrichtenübermittlung, die beim Empfänger bestimmte Reaktionen auslöst. Das heißt, die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Moleküle oder vielmehr die Nichtwahrscheinlichkeit ihres Aufenthaltes sind formale Voraussetzungen für deren Relevanz, für deren pragmatischen Informationsgehalt in einem Sender – Empfänger – Kontext..
Und genau darum geht es ja in der Wirtschaft, um die Relevanz für den Empfänger eines Produkts. Also den Wert, den genau dieses Produkt zu einer bestimmten Zeit für einen spezifischen Empfänger hat oder den er diesem Produkt zumißt.
Was ist nun Relevanz, betrachtet aus der Informationstheorie?
Wie bereits oben angedeutet, gibt es drei Ebenen der Information:
* die syntaktische als formale Ebene
* die semantische als inhaltliche Ebene und
* die pragmatische als interaktive Ebene der Informationtheorie.
Während sich die syntaktische Ebene der Informationstheorie vor allem mit den formalen Aspekten, also mit der Zeichenfolge, und der Wahrscheinlichkeit bzw. Unwahrscheinlichkeit des Auftretens einer bestimmten Zeichenfolge beschäftigt, so befasst sich die semantische Informationstheorie vor allem mit dem Inhalt: “Was soll gesagt werden? Was beinhaltet ein Zeichen oder eine Zeichenfolge?”
Die pragmatische Ebene dagegen hat vor allem die Wirkung einer Nachricht zum Gegenstand der Untersuchungen. Gemessen wird diese Wirkung einer Information an der Reaktion des Empfängers. Die Pragmatik mißt also die Wirkung, die eine Information auf einen Empfänger hat und wie dieser Empfänger reagiert. Das Charakteristische an der pragmatischen Information ist, daß die Basis der Kommunikation, also die Semantik und die Syntaktik durch die pragmatische Information geändert werden können. Das heißt, die pragmatische Information soll ja gerade auf die Informationsbasis des Empfängers wirken und sie verändern, der Empfänger soll lernen.
Der Empfänger muß jedoch überhaupt erst einmal eine solche Informationsbasis besitzen, bevor er eine erhaltene Nachricht sinnvoll verwerten kann. Mit anderen Worten: Die Pragmatik gibt an, wie relevant oder auch interessant eine Nachricht für den Empfänger ist. Sie wird dadurch gemessen, daß der Empfänger auf eine Nachricht in irgendeiner Weise reagiert. Die Pragmatik mißt also die Relevanz, den Wert einer Information für den Empfänger.
Und genau das ist es ja, was bei der Produktion von Produkten verändert wird. Nicht nur die reine Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Atome oder Moleküle zueinander (die entweder unwahrscheinlich oder wahrscheinlicher ist), sondern es ist vor allem der Wert eines Produktes für den Empfänger, die Relevanz für den Kunden, die im Laufe der verschiedenen Produktionsstufen verbessert wird. Insofern läßt sich also auch die Wertsteigerung von Produkten im Laufe des Veredelungsprozesse als Relevanzsteigerung, quasi als Nachrichtenübermittlung verstehen.
Wichtig für das Verständnis der Grundlagen des Mehrwerts ist, daß der Wert eines Produkts nicht entscheidend von der Menge des eingesetzten Materials abhängt, sondern davon eher unabhängig ist. Nicht wieviel Blech in einem Auto verarbeitet worden ist, sondern wie es verarbeitet worden ist, ist für den Wert eines Wagens am Ende wesentlich entscheidender.
Denn nach dem bisher gesagten, stellt der Wert eines Produkts die Relevanz für den Käufer dar, die Relevanz im informationstheoretischen Sinne, die Relevanz für den Empfänger dieses Produkts. Im Grunde kann man also den Wirtschaftsprozeß als Informationsverarbeitungs- bzw. meines Erachtens noch treffender als Informationsgenerierungsprozeß (Lernprozeß) ansehen.
In der heutigen Wirtschaft wird dieser Zusammenhang zwischen (relevanter) In-Formation und Wert immer deutlicher: Nicht nur Produkte, also materielle Güter, sondern auch Dienstleistungen und vor allem auch reine Informationen im herkömmlichen Sinne (Software, Computerdaten) stellen in zunehmendem Maße einen Wert dar.
Zum einen kann man daran erkennen, daß der Wert eines Produkts in entscheidendem Maße quasi von seiner Unwahrscheinlichkeit abhängt, also von der Häufigkeit des Auftretens dieses Produkts. Nehmen wir z.B. einen Mikrochip, der noch vor wenigen Jahren Tausende von Mark gekostet hätte, weil er eben gerade erst in der Entwicklung befindlich war und es nur wenige von diesen Chips gab, so werden heute derartige Chips wesentlich billiger angeboten, weil sie zu hunderttausenden auf dem Markt vorhanden sind, ihr Auftreten sehr wahrscheinlich ist, ihr Wert, ihre Relevanz damit sinkt.
Zum zweiten kann man an diesem Beispiel aber auch sehen, daß es nicht nur irgendein unwahrscheinliches Produkt sein muß, sondern ein relevantes Produkt, ein Produkt, das für den Empfänger, für den Käufer etwas bedeutet. Mit dem er etwas anfangen kann, mit dem er selbst wieder in Interaktion zum Wirtschafts- bzw. Gesellschaftsprozeß treten kann. Und genau das beschreibt die Relevanztheorie: die Interaktivität als ein wesentliches Merkmal der Pragmatik.
Der gesamte Wirtschaftsprozeß kann im Systemtheoretischen Sinne als sich selbst-steuerndes und an sich selbst-lernendes und selbst-lehrendes System oder im Luhmannschen Sinne einfach als resonantes System (System in Resonanz) verstanden werden, in dem eine hohe Relevanz mit einem Tauschmedium von ebenso hoher Relevanz für den Produzenten abgegolten wird. Profit wird dann zum positiven Feedback – zum “Pro-Feedback”. Ist Wirtschaften also ein harmonisches Miteinander? Ein Geschehen von Konsonanz und Dissonanz?
Der Wert eines Produkts oder einer Dienstleistung ist etwas sehr subjektives. Nehmen wir ein Beispiel: eine Taxifahrt. Was ist eigentlich der Wert einer Taxifahrt? Zum Beispiel abends ins Kino und danach wieder zurück. Man fährt von A nach B und von B wieder zurück nach A. Am Ende ist eigentlich alles wieder genauso wie vorher. Warum hatte diese Fahrt einen Wert? Nun weiß man aus Erfahrung, daß eine Taxifahrt sehr viel Wert haben kann. Nehmen wir an, die Frau ist schwanger und kurz vor der Entbindung, so wird sie bereit sein, alles zu geben, damit der Taxifahrer sie ins nächstgelegene Krankenhaus fährt (oder die Hebamme von dort abholt). Andererseits gibt es auch Situationen, in denen die Taxifahrt wesentlich weniger wert ist, wenn man beispielsweise auch laufen könnte. Der Taxifahrer könnte in jedem einzelnen Fall den Fahrtpreis aushandeln, so wie es in manchen Ländern ja auch üblich ist. In Deutschland jedoch gibt es einen festen Preis, einen gemittelten Erwartungs-Wert für die Fahrt eines Nutzers. Der Preis einer Taxifahrt in Deutschland ist somit die gemittelte Relevanz.
Man sieht an diesem Beispiel, daß die Anordnung von Dingen, die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten, ihre Ordnung, den eigentlichen Wert ausmachen, und zwar die Relevanz der Ordnung, also der subjektive Erwartungswert des Individuums für die weitere Interaktion in der Gemeinschaft, in der Gesellschaft.
Der Wirtschaftsprozeß ist im Grunde zu verstehen als ein Umwandlungsprozeß. Ein Umwandlungsprozeß von Materie und Energie, der vor allem im In-Formatorischen einen Mehrwert erzeugt. Das Wort “In-Formation” beschreibt dies sehr anschaulich. Es geht um ein Aus-Formen, um die Schaffung von Dingen, die für andere von Wert sind. Dadurch, daß diese beim Nutzer oder beim Käufer eine Reaktion auslösen (insbesondere erst einmal den Kauf). Der Käufer wird vor allem deshalb das Produkt kaufen wollen, weil er damit wieder in der Welt agieren kann. Wirtschaften ist damit nichts anderes als ein gigantischer interaktiver In-Formations-Akkumulationsprozeß, in dem neue Werte (also neue Relevanzen) ständig geschaffen werden. Die Relevanz der Dinge für das gesamte Gesellschaftssystem wird im Laufe der Zeit immer größer, ein Anwachsen der Information, letztendlich des gesellschaftlichen Wissens. Denn Materie und Energie können weder geschaffen noch vernichtet werden, nur die In-Formation kann im Laufe der Zeit angehäuft werden. Das heißt aber auch, der Wirtschaftsprozeß ist ein lernender Prozeß, bei der nicht nur die Individuen kontinuierlich lernen und Werte oder auch Relevanzen anhäufen, sondern in dem als ganzes Werte geschaffen werden. Das System stärkt sich selbst, wächst an sich selbst, nimmt an Vielfalt und Qualität ständig zu.
Das heißt, der “Wert” einer Sache kann durchaus wachsen oder vergehen. Er ist von der Materie und Energie unabhängig.
Die Zunahme an Werten können wir zur Zeit beobachten. Gerade in den letzten 100 -150 Jahren sind dermaßen viele Werte geschaffen worden, wie sie auf der Erde vorher wohl noch nie vorgekommen sind. Zunächst überlebensrelevante In-Formationen (Behausung, Nahrungsmittel-, Frischwasser-, Abwasser- und Energieversorgung), später dann weitergehende (redundante?) Bereiche der Gesellschaft umfassend (individuelle Freiheit, Bildung und vor allem Informationen im eigentlichen Sinne, bspw. in Bibliotheken, Universitäten oder elektronischen Datenbanken).
Denken wir nur an die zahlreichen Häuser, die uns umgeben, die riesigen Städte, die Vielzahl an Fahrzeugen, Produktionsstraßen und wohl auch an persönliche Werten. Zur Zeit leben wir in vielen Bereichen (z. B. Heizung, Fahrzeuge etc.) wesentlich angenehmer als noch die Könige vor zweihundert Jahren. Zumindest hier in Nordeuropa. Das heißt, auch die Lebensqualität ist in dieser Zeit deutlich gestiegen, zumindestens was das ökonomische, also indivuduelle angeht. Insofern war der Kapitalakkumulationsprozeß durchaus erfolgreich: Die Reichen werden immer reicher, die nicht so reichen etwas langsamer reicher und die Armen sterben ab – genau der erwünschte Effekt? Nachdem die Menschen seit Jahrhunderttausenden versucht haben, sich gegen die Natur zu wehren, hat es der Kapitalismus durch seine selbstbeschleunigenden Eigenschaften geschafft, innerhalb weniger Jahrhunderte nicht nur die wichtigsten überlebensrelevanten In-Formationen zur Verfügung zu stellen, sondern selbst zum überlebensrelevanten System für die Individuen aufzusteigen.
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[1] Wiener 1963, S. 166
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4. Der Kapitalismus:
ein Werte schaffender Prozeß?
Diese Frage ist schon von John von Neumann und Oskar Morgenstern vor Jahrzehnten behandelt worden, als sie innerhalb der Spieltheorie wirtschaftliches Verhalten zu erklären versuchten. Die Betrachtung, die von Neumann und Morgenstern damals anstellten, war, daß Wirtschaft nicht nur ein Kuchen ist, von dem sich alle ihren Teil sichern müssen, sondern daß der Kuchen mit der Zeit auch immer größer werden, wachsen und sich vermehren kann. Sie stellten mit den Mitteln der mathematischen Spieltheorie fest, daß eine Mehrwerterwirtschaftung möglich ist (eben daß der Kuchen „beim Spielen“ auch wachsen kann). Die Betrachtung ökonomischer Interaktion als eines Nicht-Nullsummenspiels, als eines Wachstumsprozesses in die Information und damit auch in die Qualität schließt somit die Möglichkeit eines Wachstums- und Mehrungsprozesses mit ein. Das Vorhandensein eines selbstverstärkenden Prozesses ist aber die Voraussetzung für dieses Wachstum und die Existenz eines beliebigen Systems. Denn erst durch das Vorhandensein des Mehrwertprozesses, des Wertschöpfungsprozesses ist Wachstum in die Qualität überhaupt möglich geworden. Der Wirtschaftsprozeß kann trotz der Begrenztheit der realen Ressourcen stetig wachsen und zwar in Dimensionen der Qualität, der Informationsverarbeitung und Informationsgenerierung – der Relevanzakkumulation.
Wenn man sich die reale Welt mit ihren tausenderlei Waren und Werten einmal vergegenwärtigt, so sieht man, daß wir tatsächlich zu einer ungeheuren Akkumulation von mehr oder weniger brauchbarer Information (Relevanzen und Redundanzen), eben von Wissens-Kapital gekommen sind. Und es zeigt sich auch, daß der Kapitalakkumulationsprozeß, also der Kapitalismus, dafür gesorgt hat, daß diese Werte sich immer schneller anhäufen. Eine ständige Beschleunigung des Akkumulationsprozesses.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die gegensätzlichen Parameter von Erstmaligkeit und Bestätigung zu sprechen kommen. Ernst Ulrich von Weizsäcker bezeichnete mit dem Konzept von Erstmaligkeit und Bestätigung folgenden Mechanismus: Ein Produkt, eine Idee entsteht, sie taucht erstmalig auf. Das Produkt hat einen hohen Wert, einen “Seltenheitswert”. Häufig beinhalten derartig erstmalige Ereignisse, gerade im ideellen Bereich, ein derartiges Maß an Neu-Information, daß sie nicht verstanden oder gar abgelehnt werden. Erst in der Wiederholung liegt dann die Entdeckung des Wertvollen für das ganze System. Mit zunehmender Wiederholung, mit wachsender Bestätigung jedoch verliert das Produkt, die Idee an Relevanz, an Erstmaligkeit, an Information, an Wert für die Gesellschaft. Es wird redundant, wiederholt sich, trägt nicht mehr zu neuen Lösungen bei, sondern wird selbst Teil des Problems. Das System fällt in die Gleichverteilung zurück, die Entropie nimmt zu. Ein prägnantes Beispiel für diesen Prozeß ist sicherlich das Automobil, das bei seiner Entstehung einen ausgesprochen hohen Wert besaß. Mittlerweile jedoch hat die drastische Zunahme von Automobilen dazu geführt, daß die Mobilität nicht mehr gewährleistet ist, das Auto seinen ursprünglichen Wert als zügiges Fortbewegungsmittel durch die vielfache “Bestätigung” deutlich eingebüßt hat.
Auch in der Natur können wir ein ähnliches Systemverhalten beobachten wie in der Ökonomie. Vergleichbar dem finanziellen Kapital in ökonomischen Prozessen ist die Biomasseproduktion in ökologischen Prozessen. Die folgende Abbildung 1 untersucht die Frage des Verhältnisses von Brutto- und Nettoprimärproduktion in Beziehung zur Gesamtatmung und dem Anstieg der Gesamtbiomassen.
Abb. 1: Ökosystementwicklung. Verhältnis von Brutto- (PG) und Nettoprimärproduktion (PN) in Beziehung zur Gesamtatmung und dem Anstieg der Gesamtbiomasse. a): in einer Waldsukzession, b): in einem Labor-Mikrokosmos. – Nach Kira u. Shidei (a), Cooke (b) (aus: Müller 1984).
Zunächst einmal zeigt die Abbildung, daß die Biomasse des Ökosystems stetig zunimmt, besonders unter den künstlichen Laborbedingungen. Und wieder einmal ist zu erkennen, daß in der Sukzession zunächst die Begünstigung von schnellem Wachstum, die Begünstigung von Beschleunigung, von hoher Brutto-Primärproduktion und von großen abschöpfbaren Erträgen, also Mehrwertschöpfung im großen Stil vorliegt. Es wird also zunächst eine kurzfristige und daher kurzlebige Strategie gefördert.
Im Verlauf der Sukzession wächst jedoch die Zahl der Ernährungsstufen und Nahrungsketten, vor allem aber auch die Vernetzung des Gesamtsystems kontinuierlich. Die Diversität steigt, es bilden sich Mechanismen zur Erhaltung heraus, die Austauschrate der Nährstoffe zwischen Organismen und Boden wird durch Zwischenstufen verlangsamt, das System nimmt an Effizienz zu (vgl. Abb. 2).
“Dabei ändert sich im Verlauf der Sukzession auch der Energiehaushalt. Junge Stadien, in denen Produzenten vorherrschen, streben eher nach Biomassequanität (…) und raschem Energiefluß, ältere mehr nach Biomassequalität (…) mit hohem Proteinanteil und Speicherung statt Weiterleitung, so daß sich das Verhältnis von vorhandener, energiereicher und organisierter Biomasse zum Energieverbrauch bzw. -durchfluß vergrößert, der Gesamthaushalt also rationeller wird.” [1]
Abb. 2: Sukzession auf Brachland im Südosten der USA nach Aufgabe von Feldern (nach Odum).
Wir erleben also auch in Ökosystemen eine Mehrwertproduktion, eine Überschußproduktion und im Verlaufe der Sukzession zunächst das Überwiegen von Wachstums- und Beschleunigungsprozessen, im späteren Verlauf dann die Zunahme von Anpassung und Effizienz. Ohne diese Prozesse wäre kein Ökosystem auf Dauer lebensfähig. Alle Arten versuchen, unter günstigen Umweltbedingungen, sich exponentiell auszubreiten, haben also exponetielle Rückkopplungsschleifen in ihrem Programm. Unter idealen Laborbedingungen kann man praktische jede Art dazu bringen, sich exponentiell zu vermehren, solange die Nahrungszufuhr klappt. Auch in der Natur kennen wir also den selbstverstärkenden Prozeß, das Wachstum in die Quantität bis zu einer gewissen Grenze, die dann die verfügbare Energie in Biomasse umsetzt und speichert.
Auch in der Natur haben wir es also mit einer Kapitalakkumulation zu tun, dem Entstehen von Vielfalt in einem System, das einem dauerhaften Fließgleichgewicht und zwar möglichst den maximal erreichbaren Umsetzungsgrad von Energiezufuhr in Diversität und Vielfalt entspricht. Die Biomasse ist wie die Kapitalmasse angereichert und dient als Grundlage für den dauerhaften Erhalt des Systems.
Der Vergleich von ökonomischen und ökologischen Prozessen und Strukturen zeigt eine Vielzahl von Entsprechungen auf:
1. In Ökonomie und Ökologie geht es um eine Mehrwerterwirtschaftung. Diese Mehrwerterwirtschaftung beruht auf den der Entropie entgegenwirkenden selbstverstärkenden und gleichzeitig selbstregulierenden Prozessen (sogenannte Dissipative Strukuren).
2. In Ökonomie und Ökologie lassen sich quantitatives und qualitatives Wachstum unterscheiden. Dabei schließt sich in der Ökologie an eine Phase rein quantitativen Wachstums, eine Höherdifferenzierung, ein Qualitätswachstum an.
3. Dieses Qualitätswachstum ist durch die Relevanz für das jeweilige System gekennzeichnet. Der Begriff der “Relevanz”, welcher im Bezug auf den ökonomischen Mehrwert vorgestellt wurde, läßt sich mit der Zunahme der Wechselbeziehungen, der Diversität der Biomasse in ökologischen Systemen vergleichen.
4. Das System der Ökologie ist in der Lage, ständig Negentropie, ständig Relevanz anzuhäufen, sich auszudifferenzieren und komplexer zu werden. Genau dasselbe finden wir auch in der Ökonomie: eine ständige Ausdifferenzierung, eine ständige Komplexitätserhöhung, ständige Diversifizierung.
5. Damit wird aber auch deutlich, daß sowohl in der Ökologie wie auch in der Ökonomie trotz der Begrenztheit der realen Welt, stetig wachsende Vielfalt, eine stetige Zunahme von “Werten” geschehen kann. Sowohl die Wirtschaft als auch die Natur als selbstverstärkende und gleichzeitig selbstregulierende Prozesse akkumulieren Relevanz, also pragmatische Information und wachsen in die unendlichen Dimensionen der Qualitätssteigerung.
Der Wirtschaftsprozeß und die Evolution können also als ein Informationsakkumulationsprozeß betrachtet werden. Kapital stellt nichts anderes als gespeicherte In-Formation, gespeicherte Relevanz dar. Daß dies in der heutigen Wirtschaft immer noch mit sehr viel Anhäufung von Materie geschieht, liegt daran, daß es uns erst jetzt gelingt, den Wirtschaftsprozeß auf die reine Informationsebene zu heben, quasi in eine nachindustrielle “meta-physische” Informationswirtschaft einzutreten.
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[1] Müller 1984, S. 336
5. Raubbau mit dem ökologischen Kapital
In Europa werden im Wald etwa 30 cm Humus in 100 Jahren gebildet. Das gesamte Erdöl, das wir heute verbrennen, ist angesammeltes Biokapital, angesammelte Biomasse, die in den Wäldern der Urzeiten Schicht für Schicht angehäuft wurde. Wir verbrennen davon in einem Jahr etwa die Menge, die in einer Million Jahren entstanden ist.
Diese Vorgehensweise entspricht keinesfalls einer vorsorgenden Lebensweise, sondern ist schmarotzerhaft. Wir sind ein Schmarotzersystem, das aus der angesammelten Sonnenenergie von etwa einer Million Jahre jährlich seine Energie bezieht. Nur dadurch können wir uns die erheblichen Ineffektivitäten leisten, die wir derzeit vor allem in unserem Energiesystem beobachten können. Wir sind wie Enkel, die den Familienbesitz, der in hunderten von Jahren angehäuft worden ist, in wenigen Sekunden verprassen.
Vergleicht man dieses Vorgehen mit den im letzten Kapitel 4 beschriebenen Populationskurven, so liegt der Vergleich des Menschen mit niederentwickelten Kulturen, die sich noch im Stadium des quantitativ wachsenden Systems befinden, auf der Hand. Diese Kulturen wachsen einfach, bis sie an die Grenzen des Systems stoßen, bis regulierende Wechselwirkungen mit anderen Kulturen eintreten. Es sieht ganz so aus, als ob dieses gedankenlose, verschwenderische “Wachstum” der derzeitigen Kultur seine Grenzen durch Rückkopplungen finden wird. Durch Rückkopplungen, die wir in den nächsten Jahrzehnten spürbar erfahren werden, von denen wir die meisten aber nur erahnen können (Abb. 3).
Abb. 3: Einpendeln der Populationsdichte von in Tasmanien ausgesetzten Schafen auf die durchschnittliche Umweltkapazität (nach v. Wurmbach). Verläuft der Anpassungsprozeß der Menschen ähnlich der von tasmanischen Schafen?
Damit zeigt uns die Ökologie aber auch einen Weg für die nächsten Jahrzehnte auf: Wir müssen qualitativ wachsen, unsere Anpassungsfähigkeit und Effizienz steigern, mehr Wert auf den mehrfachen (mehrdimensionalen) Mehrwert, auf Relevanz im eigentlichen Sinne legen und uns damit von überflüssigen und zerstörerischen Materialflüssen lösen. Wir müssen besonderen Wert auf die Art unserer Energiezufuhr legen und Systeme finden, die dauerhaft entwicklungsfähig sind, die nicht unsere eigene Existenz gefährden, nicht an das Kapital von Generationen gehen, sondern aus der selbst erwirtschafteten Kasse bezahlen.
___________ >> weiterführende Literatur
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Originaldokument unter: http://oikos-online.com/
Oikos – Warum eigentlich
und ausführlicher noch einmal im Oikos-Bericht von 1996:
http://www.hansboes.com/oikos-bericht-an-das-sekretariat-fuer-zukunftsforschung-sfz/